Der Kampf gegen die Wohnungsknappheit
Im Kreis Nordfriesland fehlt Wohnraum im mittleren und unteren Preissegment. Woran das liegt und was der Kreis Nordfriesland dagegen unternimmt, erläuterten Landrat Florian Lorenzen, sein Fachbereichsleiter Soziales und Arbeit, Christian Grelck, und der Geschäftsführer der WohnECK NF gGmbH, Olaf Henschen, in einem Pressegespräch im Husumer Kreishaus.
Junge Menschen ziehen aus dem Elternhaus aus; Paare trennen sich; viele, die in einem Wohnheim leben könnten, bevorzugen die Selbstständigkeit in einer eigenen Wohnung; ältere Menschen ziehen der besseren Infrastruktur wegen in die Städte; Migranten benötigen Wohnungen; betuchte Rentner aus anderen Bundesländern erfüllen sich den Traum vom Lebensabend an der Küste; alte Miethäuser werden nach dem Abriss meist durch teuer vermietete Neubauten ersetzt, die kaum ein Normalverdiener sich leisten kann. Das sind die Hauptgründe für den steigenden Bedarf. Sie treffen auf eine Baubranche, die durch hohe Baustandards, hohe Rohstoffpreise und den Fachkräftemangel nur schwer in der Lage ist, bezahlbaren neuen Wohnraum zu schaffen.
Die Vermeidung von Wohnungslosigkeit gehört zu den Aufgaben von Kommunen und Kreisen – eine Aufgabe, die wahrzunehmen immer schwieriger wird. Deshalb riefen die AWO Schleswig-Holstein, die Arche Unterstütztes Wohnen GmbH, die Brücke SH, die DIAKO NF, das Diakonische Werk Husum und Land in Sicht e.V. im Dezember 2018 die heutige WohnECK NF gGmbH ins Leben. Der Kreis bringt als Kooperationspartner mit 270.000 Euro jährlich einen Großteil der Finanzmittel für die Gesellschaft auf.
Landrat Florian Lorenzen erklärt die Motivation des Kreises: »Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen finden kaum einen Vermieter. Schufa-Einträge und die Einstufung als potenziell säumige Zahler wirken abschreckend. In dieser ausweglos scheinenden Situation kann WohnECK oft helfen.«
»Wir mieten selbst Wohnungen an und vermieten sie dann an Menschen in Notlagen weiter – natürlich in Absprache mit den Eigentümern. In anderen Fällen betreuen wir die vorhandenen Mieter intensiv und halten dem Vermieter als eine Art Puffer oder Problemlöser potenziellen Ärger von der Hand«, erklärt WohnECK-Geschäftsführer Olaf Henschen. So begründe man neue Mietverhältnisse für bedürftige Menschen, könne aber auch bestehende erhalten. Die WohnECK NF gGmbH unterstütze also im Bereich Beratung, Vermittlung und Verwaltung zwischen Vermieter und Mieter.
Rund 450 Wohnungen, in denen etwa 1.100 Personen leben, betreuen Henschen und seine sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter inzwischen in Nordfriesland. Weitere 700 Menschen, viele akut von Wohnungsnot bedroht, stehen auf einer Warteliste. Nicht nur in touristischen Hotspots, auch in ländlichen Regionen herrscht inzwischen Knappheit.
In rund 25 nordfriesischen Städten und Dörfern hat WohnECK von mehr als 90 Eigentümern und Verwaltungsgesellschaften Wohnraum angemietet. »Dabei muss unser Team sich wohl einen ganz guten Ruf erarbeitet haben«, freut sich Henschen, denn: »Regelmäßig kommen weitere Vermieter auf uns zu, so dass wir unseren Bestand erweitern können.«
Doch WohnECK tut noch mehr: In Kooperation mit Wohnungsbaugesellschaften oder privaten Investoren hilft sie gezielt bei der Entstehung attraktiven neuen sozialen Wohnraums. »Derzeit befinden wir uns mit mehreren Investoren im Austausch über den Neubau von rund 40 Wohneinheiten an verschiedenen Standorten in Nordfriesland«, berichtet Olaf Henschen.
Bereits fertiggestellt ist der Neubau von 19 Wohnungen mit einem Privatinvestor in Husum, überwiegend mit einem oder zwei Zimmern. Sie wurden größtenteils an Menschen mit Behinderung vergeben. Der Mietzins hält den Rahmen der kreisweit festgelegten Obergrenzen für sozialen Wohnraum ein.
In Bredstedt unterstützte WohnECK einen ortsansässigen Bauunternehmer beim Neubau von 13 Wohnungen im Ortszentrum. »Dort treten wir als Generalmieter auf. Alle Wohnungen sind bereits vergeben, wobei wir auf eine ausgewogene Mieterstruktur geachtet haben«, sagt Henschen.
Weitere Neubauprojekte werden zurzeit vorbereitet. WohnECK unterstützt beim Kontakt zwischen Bauherren und Behörden und hilft beim Einwerben öffentlicher Fördermittel, um die Baukosten zu senken und so niedrigere Mieten zu ermöglichen. »Zudem akzeptieren manche Vermieter geringere Gewinnmargen, weil sie das Fehlen bezahlbaren Wohnraums als Missstand betrachten, gegen den sie selbst etwas tun wollen. So etwas freut uns ganz besonders«, lobt Olaf Henschen.
»Grundvoraussetzung aller Baumaßnahmen ist natürlich, dass die Gemeinden ihre Planungshoheit nutzen, um entsprechende Baugebiete auszuweisen. Bezahlbarer Wohnraum kommt auch der örtlichen Wirtschaft zugute, weil dort Fach- und Arbeitskräfte einziehen werden«, betont Landrat Florian Lorenzen.
Um die entsprechenden kommunalpolitischen Entscheidungen zu erleichtern, hat der nordfriesische Kreistag beschlossen, seine Wohnungsmarktanalyse von 2019 fortschreiben zu lassen. »Wir bereiten zurzeit die Ausschreibung vor«, teilt Fachbereichsleiter Christian Grelck mit. »Es gibt spezialisierte Büros, die die demographischen Gegebenheiten und die wahrscheinlichen wirtschaftlichen Entwicklungen sehr genau analysieren und daraus ableiten können, wie sich der Bedarf an Wohnraum in den nächsten zehn bis 15 Jahren verändern wird. Das gibt den Gemeinden eine verlässliche Grundlage für ihre Wohnbaupolitik«, erklärt Grelck.
Nordfriesland steht im Bereich Wohnraum zwar vor besonderen Herausforderungen, doch auch im restlichen Schleswig-Holstein ist die Lage nicht viel besser. »Wir nehmen landesweit ein großes Interesse an der nordfriesischen Lösung wahr und beraten andere Kreise und Städte regelmäßig in dieser Frage«, berichtet Lorenzen. Mehrere Kreise hätten bereits vergleichbare Lösungen umgesetzt, angepasst an die regionalen Verhältnisse. »Unser Nachbarkreis Schleswig-Flensburg hat sich sogar direkt der WohnECK NF gGbmH angeschlossen. Dort hat die Gesellschaft mittlerweile ein eigenes Büro eröffnet«, so Lorenzen.
Ende 2023 beschloss der nordfriesische Kreistag, der WohnECK NF ab 2024 einen jährlichen Zuschuss für wohnbegleitende pädagogische Hilfen von bis zu 70.000 Euro jährlich zu gewähren, zusätzlich zu dem normalen Zuschuss. »Der Übergang aus der Wohnungslosigkeit oder aus einer Wohnunterkunft in eine eigene Wohnung stellt eine enorme Umstellung der Lebensführung dar, die viele Hilfebedürftige überfordert«, stellt der zuständige Fachbereichsleiter Christian Grelck fest. Plötzlich seien Themen wie Mülltrennung, Vertragsverpflichtungen, Energieversorgung, Nebenkostenabrechnung oder Rücksichtnahme auf Nachbarn relevant.
»Ein Teil der betroffenen Personen benötigt eine Unterstützung, die sie zuhause besucht, um das Wohnverhältnis dauerhaft abzusichern und fortbestehende Problemlagen zu bearbeiten. Deshalb finanzieren wir eine Fachkraft bei WohnECK, die eng mit unserem Jugendamt, den Sozialzentren und der Schuldnerberatung zusammenarbeitet«, sagt Grelck. Denn Probleme ließen sich umso leichter lösen, je früher sie erkannt würden.
Mit Blick auf die Arbeit der WohnECK ziehen Florian Lorenzen und Christian Grelck ein rundum positives Fazit: »Herr Henschen und sein Team leisten großartige Arbeit. Nun kommt es auf den Gesetzgeber an, der einige Baustandards im Geschosswohnungsbau überdenken sollte – darunter beispielsweise den Schallschutz oder die Deckenstärken –, und vor allem auf die Kommunen, denen die Entscheidung über Bebauungspläne obliegt.«