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Foto: Bernd Höfer, Breklum

Kreishaus in der Marktstraße in Husum

09.11.2016

Fehlende Schilder sind nicht das Problem - Landrat erläutert das Föhr-Gutachten

»Dass ein paar Schilder fehlen oder bei der Kontrolle ein Wärmebettchen nicht aufgeheizt war, ist selbstverständlich kein Grund für die Schließung einer Geburtshilfestation«, stellt Landrat Dieter Harrsen fest.

Er bezieht sich auf einen Presseartikel vom Wochenende, der aus dem Gutachten zur Geburtshilfe in Wyk auf Föhr zitiert: »Die Initiatoren des Bürgerbegehrens machen es sich zu einfach, wenn sie einige leicht abstellbare Kleinigkeiten auflisten und unterstellen, minimale Investitionen würden ausreichen, um den Föhrer Kreißsaal wieder in Betrieb nehmen zu können.«

Harrsen weist auf den zentralen Passus des Gutachtens hin, er lautet: »Die Patientensicherheit wird zwar suggeriert, ist jedoch unter den vorgefundenen Bedingungen nicht gegeben, weil die Auflagen der Leitlinien nicht, oder nur teilweise eingehalten werden. Das Haftungsrisiko ist als ausgesprochen hoch einzustufen.« Um dies zu verstehen, müsse man jedoch auch die genannten Leitlinien lesen.

Sie stammen von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), tragen die Überschrift »Mindestanforderungen an prozessuale, strukturelle und organisatorische Voraussetzungen für geburtshilfliche Abteilungen der Grund- und Regelversorgung« und sind auf der Internetseite des Kreises zu finden.

Dieter Harrsen erläutert noch einmal, welche dieser Vorgaben nicht oder nicht in jedem Fall in Wyk eingehalten werden können: Dazu zählt die Gewährleistung des jederzeitigen Eintreffens eines zweiten Gynäkologen innerhalb von zehn Minuten im Krankenhaus. »Wenn Frau Engel und Herr Dr. Hölter auf der Insel sind, ist das machbar. Doch wenn nur einer von ihnen krank oder auf dem Festland ist, haben wir ein Riesenproblem«, betont Harrsen.

Personaldecke zu dünn

Auch, dass eine Hebamme jederzeit innerhalb von fünf Minuten in der Klinik sein kann, ist nicht gesichert – ebenso wenig wie das Eintreffen eines Anästhesisten innerhalb von zehn Minuten. Ein Notkaiserschnitt muss an 365 Tagen im Jahr möglich sein. »Und in diesem Punkt reicht unsere Personaldecke mit einer niedergelassenen Gynäkologin, zwei Hebammen und einer Anästhesistin schlichtweg nicht aus. Die Föhrer Anästhesistin kann durch einen Notfall anderweitig gebunden sein – was machen wir dann?«, fragt Harrsen.

Versorgung von Frühgeborenen ungesichert

Außerdem erschwert die Insellage die Versorgung von Frühgeborenen durch einen Kinderarzt bei einer Notfallgeburt und kritischer Wetterlage, die das Ausfliegen des Neugeborenen oder das Einfliegen des Kinderarztes verhindert. Diesen Spezialisten muss darüber hinaus ein OP-Team für die kurzfristige intensivmedizinische Versorgung bei Geburtskomplikationen zur Seite stehen.

Anforderungen sind sehr hoch

»Ich finde auch, dass diese Anforderungen sehr hoch sind – umsetzen müssen wir sie dennoch«, betont Dieter Harrsen. Er weist darauf hin, dass hinter den Leitlinien der DGGG die Erfahrung von 7.000 Gynäkologen und Geburtshelfern steht und dass die schleswig-holsteinische Landesregierung 2014 unmissverständlich erklärt hat, dass sie von jeder Geburtsstation erwartet, die Vorgaben lückenlos einzuhalten.

Nicht kurze Wege, sondern Qualität und Sicherheit für Mutter und Kind genießen im Konzept des Landes Priorität. Wo die Wege zur Geburtshilfe weiter werden, sollen Vor- und Nachbetreuung sowie rettungsdienstliche Strukturen ausgebaut werden.

Dann sieht die Welt ganz anders aus

»Solange nichts Schlimmes passiert, kann man sich natürlich über die hohen Standards aufregen. Doch sobald uns eine Mutter im Kreißsaal stirbt oder ihr Baby zeitlebens behindert bleibt, weil wir die Leitlinien missachtet haben, sieht die Welt plötzlich ganz anders aus. Diese Situation möchte niemand erleben«, unterstreicht Harrsen.

Medizinisch-Technische Laborfachkräfte fehlen

Der Landrat geht auch auf die verbreitete Vorstellung ein, bei vorhergesagten Unwettern könnten einfach zusätzliche Blutkonserven eingelagert werden: »Wenn das Unwetter nicht überraschend kommt, ist das in der Tat denkbar, wenn auch nicht hundertprozentig zu garantieren. Aber uns fehlen die Medizinisch-Technischen Laborfachkräfte, die im Notfall die für die Sicherheit der Patienten zwingend erforderlichen Kreuzproben durchführen können. Die letzte hat Föhr im Oktober 2015 verlassen – das war ja damals der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Danach hat der damalige Geschäftsführer, Herr Pietrowski, entschieden, die Geburtenstation zu schließen.«

Frank Pietrowski versuchte, Kreißsaal zu retten

Energisch weist der Landrat die Kritik zurück, Frank Pietrowski hätte den Kreißsaal unmittelbar nach Vorlage des Gutachtens schließen müssen und nicht erst ein Jahr später: »Der Geschäftsführer wollte die Flinte nicht sofort ins Korn werfen. Er wusste, wie wichtig die Geburtenstation für die Inseln ist, und hat ein Jahr lang versucht, Wege zu ihrer Rettung zu finden. So lange hat er auch das Haftungsrisiko übernommen. Aber als dann die letzten Laborfachkräfte abwanderten, mussten wir erkennen, dass die Situation nicht mehr vertretbar war«, erinnert sich Harrsen.

Keine wirtschaftlichen Gründe

Völlig falsch sei die Vorstellung, wirtschaftliche Gründe seien ausschlaggebend gewesen. »Die Krankenkassen zahlen bekanntlich einen Sicherstellungszuschlag, der das Defizit des Inselkrankenhauses zu 100 Prozent abdeckt. Weder Klinikum noch Kreis profitieren also von der Schließung – im Gegenteil: Wer mit einer Geburtsstation gute Erfahrungen gemacht hat, ist natürlich bei späteren Erkrankungen eher bereit, sich wieder dem gleichen Krankenhaus anzuvertrauen«, erklärt der Verwaltungschef.

Resumée der Gutachter

 Die Gutachter fassen ihre Erkenntnisse wie folgt zusammen: »Abschließend unter Berücksichtigung aller aufgeführten Kritikpunkte lässt sich sagen, dass die Größe der Klinik mit ihren gesamten personellen und technischen Ressourcen sehr wahrscheinlich limitierend sein wird für die sichere Handhabung komplexer geburtshilflicher Notfälle. Dies gilt insbesondere für Situationen, die nicht beeinflussbar sind und eine zeitnahe Verlegung in ein größeres Zentrum verhindern.«

Am Ende blieb keine Wahl mehr

»Wenn man weiß, dass Gutachter sich generell vorsichtig ausdrücken und gern den Konjunktiv verwenden, ist dies eine ganz klare Empfehlung, den Kreißsaal im Interesse der Sicherheit von Mutter und Kind zu schließen. Den gleichen Rat erhielt Herr Pietrowski vom Rechtsbeistand des Klinikums. Deshalb blieb ihm am Ende keine Wahl mehr, und der Aufsichtsrat hat seine Entscheidung anschließend gebilligt«, erklärt Dieter Harrsen.