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Foto: Bernd Höfer, Breklum

Kreishaus in der Marktstraße in Husum

24.08.2020

Der nordfriesische Weg: 15 Jahre kommunale Arbeitsvermittlung

»Die Entscheidung, ins kalte Wasser zu springen, war damals goldrichtig. Wir würden es heute wieder so machen«, ist Landrat Florian Lorenzen sicher. Die Rede ist von der größten neuen Aufgabe, die der Kreis Nordfriesland in den letzten Jahrzehnten übernommen hat: die Arbeitsvermittlung für Langzeitarbeitslose.

»Wir bauen den Menschen Brücken zurück in ein selbstbestimmtes Leben«, erläutert Axel Scholz, der Leiter des Jobcenters Nordfriesland in der Kreisverwaltung. Auch er ist überzeugt vom eigenen nordfriesischen Weg.

Denn die Konstruktion, die vor 15 Jahren aus der Taufe gehoben wurde, ist in Deutschland einzigartig: Die nordfriesischen Gemeinden, Städte und Ämter haben ihre früheren 25 Sozialämter in insgesamt sieben regionalen Sozialzentren zusammengefasst, die von den Ämtern selbst betrieben werden.

Sie sind Anlaufstellen für die Arbeitsvermittlung, die Jugendhilfe, die Seniorenhilfe und die Schuldnerberatung. Auch wer Wohngeld oder Grundsicherung im Alter beantragen will, ist dort richtig.

Alle Leistungen aus einer Hand

»Vielen Menschen benötigen mehrere Sozialleistungen auf einmal. Wir denken ganzheitlich und bieten den Bürgerinnen und Bürgern alle sozialen Leistungen aus einer Hand an, auch wenn unterschiedliche Behörden zuständig sind – eine Verwaltung der kurzen Wege«, sagt Axel Scholz.

Steuerung mit Zielen

Die strategische Leitung der Jobcenter-Arbeit liegt beim Kreis. »Wir machen inhaltliche Vorgaben und vereinbaren Ziele mit den Leitungen der Sozialzentren. Aber wie sie diese Ziele erreichen, bestimmen die Zentren weitgehend selbst«, erklärt Scholz. Trotzdem ist es der Kreis, der gegenüber dem Bund in der Verantwortung steht.

Denn der Bund gibt den einzelnen Kreisen Ziele vor, die erreicht werden müssen.

Das Jobcenter, eine lernende Organisation

In den Himmel loben will Axel Scholz die heimische Speziallösung nicht: »Selbstverständlich gibt es mal Reibungsverluste, natürlich arbeiten auch wir nicht fehlerfrei. Aber wir betrachten uns als lernende Organisation: Wenn wir einen Missstand erkennen, setzen wir uns schnellstmöglich zusammen und bereinigen ihn.«

Sozialzentren setzen regionale Schwerpunkte

Die sieben Sozialzentren nutzen ihre Freiheiten, um den Arbeitsmärkten, die innerhalb des Kreises sehr unterschiedlich sind, gerecht zu werden. So hat die Region um Husum herum ein größeres Problem mit dem Wohnungsmangel als der ländliche Raum. Auch gibt es in der Kreisstadt mehr Geflüchtete als in den kleineren Gemeinden. Deshalb wurde dort ein eigenes Team von Mitarbeitern gegründet, das sich speziell um die Integration von Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt kümmert.

Die Erfolgsgeschichte der Fahime Afshar

Im Zentrum einer der Husumer Erfolgsgeschichten steht Fahime Afshar. 2014 floh die damals 16-Jährige mit ihren Eltern und sechs Geschwistern vor den Taliban aus Afghanistan. Nach monatelangen Fußmärschen und mehreren Zwischenstationen landete die Familie in Husum. Was sollte aus der jungen Frau werden? Zu Hause zu bleiben und nichts zu machen, kam für sie nicht in Frage.

Auf Vermittlung der Ausländerbehörde und des Jobcenters knüpfte sie Kontakte zu Friseurmeister Andreas Gasko. Er stellte sie zunächst als Aushilfe, dann als Praktikantin ein. Ihr Engagement und ihr Wesen begeisterten ihn. Zwischen den Kundenterminen lernte sie mit dem Chef Deutsch. Im Jahr 2016 begann sie eine Friseurlehre, ohne je einen Sprachkurs besucht zu haben – und schloss mit der Praxisnote 1 ab.

Heute arbeitet sie als Gesellin im Friseursalon Gasko in Mildstedt. Im Herbst hat sie sich mit einem Landsmann verlobt, den sie an der Berufsschule kennenlernte. Fahime Afshar ist in Deutschland angekommen.

Berufliche Perspektiven auch nach langer Erwerbslosigkeit

Zum 15-jährigen Jubiläum gibt der Kreis eine Broschüre mit dem Titel »Der nordfriesische Weg« heraus.

Dort werden neben dem Schicksal Fahime Afshars weitere Erfolgsgeschichten vorgestellt. Ein Beispiel ist eine Frau, die mit 20 Jahren heiratete, drei Kinder bekam und mit 25 Jahren geschieden wurde. Es folgten Zeiten der Unsicherheit, bis sie beschloss, LKW-Fahrerin zu werden, so wie ihr Vater und ihr Großvater vor ihr.

Das Jobcenter NF half mit Bewerbungstrainings, Coachings, Weiterbildungen und Unterstützungsmaßnahmen im Alltag, damit es der jungen Mutter überhaupt möglich war, sich neben der Sorge für drei Kinder auch noch auf eine Berufstätigkeit vorzubereiten. Das Sozialzentrum in Tönning finanzierte ihr sogar den Erwerb mehrerer Führerscheine.

30.000 Arbeitsvermittlungen in 15 Jahren

»Wir haben ihr Brücken gebaut, damit sie in ein selbstbestimmtes Leben zurückfand, unabhängig von staatlichen Sozialleistungen. Das ist uns in den letzten 15 Jahren bei dieser Kundin und bei rund 30.000 weiteren Menschen gelungen«, sagt Axel Scholz und ergänzt: »Schicksale wie dieses motivieren uns täglich neu. Sowohl die rund 140 Kolleginnen und Kollegen in den Sozialzentren als auch wir im Kreishaus engagieren uns dafür, niemanden verloren zu geben. Von Arbeitslosengeld II abhängig zu sein, ist keineswegs das Ende – oft ist es der Start in eine neue Karriere.«

Rückendeckung der Kommunalpolitik

Dankbar sind Scholz und Lorenzen für die uneingeschränkte Unterstützung des Kreistages für den nordfriesischen Weg. »Ohne die Rückendeckung der Kommunalpolitik auf Kreisebene und in den Kommunen wäre das alles nicht möglich gewesen«, hebt Landrat Florian Lorenzen hervor. Er dankt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters Nordfriesland und der sieben Sozialzentren, aber auch der nordfriesischen Wirtschaft für die gute Zusammenarbeit.

In sehr vielen Langzeitarbeitslosen schlummern Potenziale

»In sehr vielen Langzeitarbeitslosen schlummern Potenziale, die nicht auf den ersten Blick auffallen. Deshalb arbeiten in unseren Behörden Menschen, die in der Lage sind, Chancen zu erkennen und den Betroffenen Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Dieses System hat sich sehr bewährt, und auch für die Zukunft sind wir mit ihm bestens aufgestellt«, stellt Florian Lorenzen fest.

Die Broschüre »Der nordfriesische Weg« steht unter https://ogy.de/6k3t zum Herunterladen bereit.